HUBERT LOBNIG
Reinsberg an der Muse, Datum 06/04


Was passiert, wenn ein kleines Dorf im tiefsten Mostviertel von der Kunst heimgesucht wird.

Nina Schedlmayer

Kalt und nass und grauslich ist es an diesem Oktobertag auf der Landstraße 22, kurz vor Scheibbs. Nach einer Abbiegung erscheint ein dicht bewaldeter Berg, auf dem eine Burgruine hockt. Umrankt von Nebelschwaden, wie im Märchenbuch. „REINSBERG“ steht auf dem Berg, in riesigen Lettern. Der gelernte Kulturmensch weiß: Wenn man keine Ahnung hat, was es ist, ist es meistens Kunst. So auch hier, im tiefen Mostviertel, wo jeder Bauernhof einen eigenen Namen hat und das Mobiltelefon Schwierigkeiten mit dem Empfang.

Drei Jahre ist es her, dass der Wiener Künstler Oliver Hangl den Berg mit Riesenlettern verzierte. Das Projekt hieß „Gemischte Gefühle“ und war das zweite in einer Reihe, die von der Abteilung „Kunst im öffentlichen Raum“ in der Niederösterreichischen Landesregierung finanziert wurde. Heuer wurde das dritte Projekt umgesetzt, organisiert von Iris Andraschek und Hubert Lobnig, die selbst seit langem das Leben „am Land“ dokumentieren. „Schöne Aussichten“ nannten sie es.

Die Aufgabe: Künstler sollten sich mit dem Selbst- und dem Fremdbild der Reinsberger auseinander setzen. Etwa 1000 Leute wohnen in Reinsberg. Samstagnachmittag ist das Dorf wie ausgestorben. Am Parkplatz des Gasthofs Stadler stehen zwei Autos. Ein Schild an der Tür kündigt das Fußballmatch Polen – Österreich an, und: „Wenn Österreich gewinnt, gibt es einen Gespritzen gratis für jeden, der sich das Spiel ab der Pause anschaut.“ Was hält man hier von der Kunst, die regelmäßig über das Dorf hereinbricht? „Wirtschaftlich hat es uns auf jeden Fall etwas gebracht“, sagt der Wirt.

Und seine Frau berichtet belustigt über eine Aktion von Catrin Bolt: 37 Künstler ließ diese Ende August mit dem Bus nach Reinsberg karren, mit dem Auftrag, zwei Stunden lang zu recherchieren und die Ergebnisse zu dokumentieren. „Rudelweis’“ seien sie durch den Ort gezogen, lacht Hilde Stadler. Als gelernte Reinsbergerin wusste sie sofort, dass der Überfall nur mit Kunst zu tun haben konnte. Außerdem „kennst des ja vom G’wand her“. Am meisten amüsiert hat sie sich über eine junge Frau, die, ständig die Kamera vorm Gesicht, immer näher ans Haus herankam.

„Und auf einmal hat’s den Kopf beim Kuchlfenster hereingehängt!“ Wenn am Land so etwas passiert, stecken meist solche dahinter, die von Beruf wegen nicht unbedingt damit zu tun haben. Karl Prüller ist gelernter Kfz-Mechaniker, in den Achtzigern begann er nebenher, die örtliche Theatergruppe neu aufzubauen. Zunächst führte man Bauernschwänke auf, „dann schon Nestroy-Possen“, schließlich gründete Prüller ein Festival auf der Burgruine.

1992 wurde im Zuge einer Dorferneuerung die Burgarena eröffnet – mit einem Ausbau, der hitzige Diskussionen in den Wirtshäusern provozierte: Ein Dach, das wie ein Ufo aussieht, schwebt an einem Kran über der Bühne, daneben werden in einem tiefroten, containerartigen Häuschen Gäste bewirtet. Die Meinungen im Ort waren geteilt: „Spinnen die jetzt komplett?“, fragten sich die einen, „unnötig“ sei das Ganze, monierten die anderen. Prüller aber brachte fortan Stücke auf die Bühne, die die Reinsberger noch mehr vor den Kopf stießen. 1995 führte man „Kein schöner Land“ von Felix Mitterer auf, parallel dazu organisierte Prüller eine Ausstellung über die NS-Zeit.

„Was will der Bua, der hat ja keine Ahnung von der Geschichte“, tönte die Altherrenpartie vom Kameradschaftsbund. Später veranstalteten Künstler auf der Burg Symposien, und ständig wurden irgendwo Eisenskulpturen aufgestellt – ist Reinsberg doch Teil der „Eisenstraße“. Im Zuge der Ansuchen um öffentliche Förderungen kam Karl Prüller mit Katharina Blaas-Pratscher, der Leiterin der Abteilung „Kunst im öffentlichen Raum“, ins Gespräch. Diese interessierten weniger die Metalltrümmer als vielmehr der Ort an sich, und so wurde 1999 das erste Projekt („Gemeinsame Sache“) gestartet.

Von Anfang an arbeiteten die Künstler mit den Reinsbergern zusammen und beschäftigten sich mit Geschichte und Alltag des Ortes. Nicht immer ohne Friktionen. Gehörig provoziert hat 2001 die Performerin Barbara Kraus – sogar zu einer dringlichen Anfrage im Landtag kam es infolge ihrer Aktion „feucht“. Damals zog sie als „Nacktschnecke“ durch den Ort: Nur mit einem durchsichtigen Plastiküberwurf bekleidet und mit einer schleimigen Substanz beschmiert, kroch sie vor der Kirche herum – aus der prompt der Pfarrer trat und zu predigen begann.

Das Wiener Shuttlebus-Publikum applaudierte: Die Intervention des Geistlichen wurde als Teil der Performance missverstanden. Derartige Skandälchen gab es diesmal nicht. „Heuer sieht man das lockerer“, sagt Prüller. Auch das Ehepaar Pöhacker, das auf seinem Biobauernhof die Künstler beherbergt, freut sich über das Interesse am Ort. Ob sie das, was die Künstler machen, gut finden, sind sie sich aber nicht sicher. „Man müsste sich halt mehr hineinfühlen können“, sagt Josef Pöhacker. Obwohl er die handwerklichen Fähigkeiten mancher Teilnehmer bewundert.

Begeistert war er von dem Video von Barbara Musil und Karo Szmit. Die beiden liehen sich idyllische Landschaftsbilder aus verschiedenen Haushalten aus, filmten diese ab und montierten sich selbst in einem aufwändigen Verfahren hinein. So spazieren sie durch grellgrüne Wiesen, schwimmen durch blassblaue Aquarellseen oder laufen vor dunkelbraunen Jägern in Öl davon. Österreichische Binnenexotik nennt man das.

 


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