HUBERT LOBNIG
Der kleine Volksgarten, falter


Tigerpark
Der kleine Volksgarten

Florian Klenk, 10. 05. 1999, falter

Seit kurzem scheppert er jeden Morgen. Jeden Morgen! Unter meinem Schlafzimmerfenster. Da lädt er seine Kabel, Blechplatten und Metallteile unter lautem Gepolter ab. Der schwarze Mann. Der Drahtzieher. Ich mag ihn trotzdem. Kurz nach acht wenn die Fratzen der benachbarten Schule heimlich ihre Zigaretten im Park geraucht haben, kommt der grimmig dreinschauende Serbe mit seinem Handwagen und schüttet hunderte Kabel und Drähte auf die Parkbank.
Dann beginnt sein Tagwerk. Er befestigt eines der meterlangen Kabel am Zaun und zieht es mit einem kräftigen Ruck gerade. Er schneidet die Isolierung ein und schält das Kupfer heraus. Das geht den ganzen Tag so. Der Mann, der kein Wort Deutsch spricht, sammelt in den Mülltonnen alte Drähte und Schrott, um diese, sortiert und gesäubert, zum Kilopreis zu verkaufen. Früher schuftete er in einem jugoslawischen Kohlebergwerk. Sein Körper, so erzählt man, sei deshalb so schwarz. Manchmal, wenn ihn die Fratzen sekkieren, nimmt er ein großes Werkzeug, hält es drohend in die Luft und schimpft auf serbisch. Dann ist wieder Ruhe im Tigerpark.
Der Tigerpark ist der Garten der Tigergassenmenschen. Menschen, die hier nicht wohnen, finden ihn häßlich. Sie nennen ihn „zubetonierte Hundebrunzwiese“. Sie haben keine Ahnung. Der Tigerpark ist mehr Volksgarten, als der Volksgarten es je sein kann. Das Josefstädter Bürgertum und die Gastarbeiter des Gürtels treffen hier zusammen.
Als die Wiener Architekten Maria Auböck und Rudolf Rollwagen Anfang der neunziger Jahre das Dach einer Tiefgarage in einen blühenden Park verwandeln sollten, glaubte keiner der Kritiker an ihr Konzept eines kleinen Stadtgartens, der für alle Altersgruppen nutzbar sein sollte. Doch die finstere Tigergasse, voll mit Zinskasernen, ohne Schanigärten, verwandelte sich in eine kleine Oase. Auf nur 1600 Quadratmetern. auf dem Areal einer stillgelegten Fabrik, entstand ein Park mit zwei Gesichtern: eine Ruhezone mit duftenden Rosen für die Alten und eine großzügige Bewegungszone mit Schaukeln für die Kinder. Dazu ein kleiner Tisch für den schwarzen Mann. Köter sind in die Hundezone verbannt. Schon nach wenigen Monaten begannen die Anrainer, ihre Feuermauern durchzubrechen und Balkone zum Park hin zu errichten.
Das Tigergrätzel hatte zusätzliches Glück. Gleich neben dem Park wohnt das Künstlerpaar Hubert Lobnig und Iris Andraschek mit Tochter. Sie erklärten den Park und seine Bewohner zum Teil ihres Kunstprojekts, setzten eine eigene InternetSeite (www.tigerpark.at) ins Netz und entwarfen ein Tigerparklogo. „lch habe versucht, Geschichten, die sich um diesen Park drehen beim Park zu lassen“, erzählt Lobnig. Zusätzlich begann er, die Menschen zu fotografieren, ihre Geschichten aufzuschreiben und ihre Andenken zu archivieren. Lobnig förderte dabei kleine Schätze zutage: So zum Beispiel die Geschichte und die Reisefilme des Gustl Sztavjanik, der in den zwanziger Jahren von der Tigergasse mit dem Fahrrad bis nach Indien fuhr. Seine Frau, die in ein Altersheim zog, vermachte Lobnig die wertvollen Filmrollen der Weltexpedition.
Seit Anfang dieses Jahres stellen die Künstler in einem kleinen Raum im Haus Tigergasse 17 die Andenken aus. Im kleinen, weiß getünchten Zimmer, das für alle Besucher des Parks offensteht, liegen die Erinnerungen an die Tigergassenmenschen. Auf einem Tisch stehen Kupferskulpturen des schwarzen Mannes, an den Wänden hängen Zeichnungen, die ein Maler nach den Wünschen der Kinder gemalt hat. Im Tigerpark kämpfende Ninjas. NatoBomber über dem Gemeindebau. Kleine Tiger beim Spielen.
Einmal im Monat laden Andraschek und Lobnig die Bewohner zur „Tigerparksuppe“. Die Tische des Parks werden feierlich gedeckt, renommierte Köche und Künstler brauen literweise Suppe, die die Hofratswitwen, die Gemeindebaubewohner und die Gastarbeiterkinder bis in die Abendstunden löffeln.
Nur zwei Bewohnern paßt das alles nicht. Kaum erscheint die Suppe, schimpfen sie von ihren Balkonen herunter und rufen die Polizei. Es sind die einzigen, die sich beschweren. Sie leben erst seit Kurzem hier.





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