HUBERT LOBNIG
DURHAM REVISITED ESC im Labor, Graz

2004






Durham gesehen

„Camping, hiking trails, swimming“, das sind die Aktivitäten, mit denen sich Durham, Ontario, Canada potenziellen TouristInnen vorstellt, „picturesque“ist das schmückende Beiwort lokaler Wahl. Das über 61 Hektar große Landschaftsschutzgebiet der Durham Conservation Area sucht den richtigen Mix zwischen unberührter Natur und aktivem Erholungswert zu bieten. Vor über zwanzig Jahren wurde in der 2.600-Einwohner-Gemeinde das Unterhaltungs- und Leistungs- schauformat der „Wood Show“ erfunden, wie es mittlerweile in ganz Kanada verbreitet ist. Mit den Jahren schwand das Besucherinteresse, 2003 wurde die vorläufig letzte Wood Show in Durham abgehalten. Mainstreet Canada, Campingplatz und Hardware Store, Diner und Bioladen, Straßen und die Weite der Seen und des Waldes. Und überall das Rasengrün der zaunlosen Gärten und darüber die kanadische Flagge auf ihrem Fahnenmast. Dreieinhalb Stunden ist die Kleinstadt Durham von der Metropole Toronto entfernt. Das Waldviertel Kanadas. Und so siedelte sich auch hier eine Alternativcommunity an. Künstler, Biobauern, Anthroposophen, die genug vom Großstadttrubel hatten und ihren heranwachsenden Kindern eine andere Lebensumgebung bieten wollten.

Seit 1990 lebt und arbeitet die österreichische Künstlerin Ilse Gassinger in Durham, mit großem Engagement betreibt sie ein Artists in Residence Programm, das seit über zehn Jahren österreichischen KünstlerInnen die Gelegenheit bietet, aus ihrem Alltag auszusteigen und sich für mehrere Wochen intensiv mit Neuem auseinanderzusetzen. In einer umgebauten Mühle am Rand der Stadt, der Saugeen River schlängelt sich hinter dem Atelier vorbei, leben und arbeiten die GastkünstlerInnen. UMAS, United Media Artists, fördert den Kontakt mit der lokalen Kunstszene und organisiert Ausstellungen und Künstlergespräche. Im Jahr 2000 war Gertrude Moser-Wagner als Stipendiatin zu Gast, 2001 Doris Jauk-Hinz, 2002 Iris Andraschek und Hubert Lobnig, 2003 Renate Kordon. Mit unterschiedlichen Methoden fanden sie alle ihren Weg zu Durham: ihr private Canada schlägt sich in den entstandenen Arbeiten nieder und zeigt zugleich, wie unterschiedlich Begegnungen mit Menschen, Auseinandersetzung mit fremdem Alltag, Wege in unvertraute Orte und Landschaften künstlerisch hergestellt und bearbeitet werden können.

Hubert Lobnig begab sich in fremde Häuser. Das Format der Hausführung hatte er bereits in Österreich erprobt und exportierte es nun nach Durham. Er bat verschiedene Menschen, ihre Häuser für ihn zu öffnen, ihn durch ihre Haus zu führen, ihm das Haus zu erzählen. Diese Erzählungen und Bewegungen verfolgte er mit seiner Videoamera. Das wachsende Bauprojekt von Peter Zezschwitz fand so seinen Weg in das Video. Und sein eigenes Vorhaben erscheint ihm während der Führung so komplex, so kompliziert das ganze Haus mit seinen Veränderungen und Zubauten so groß, dass er es fast zu schwierig zu beschreiben findet. „It is difficult to describe the whole project.“ Der Bauherr und Häuslbauer wohnt mit all seinem Hab und Gut in Müllsäcken verstaut in einer kleinen Gartenhütte namens Liliput. Von hier aus geht er täglich in das 150 Jahre alte Gebäude nebenan und renoviert es Schritt um Schritt, minutiös hat er Verbesserungen und Erweiterungen geplant. Jedoch auch der Zufall spielt eine entscheidende Rolle, Design und Hausentwicklung folgen den Fundstücken in Junk-Stores. Aus den Dingen und Plänen, aus den Vorläufigen und Provisorischen spricht die Lebensabsicht. Häuser erzählen über Menschen, Menschen erzählen über Häuser. In diesen Dialog treten auch die Bilder ein, die Lobnig während seines Aufenthalts von Innenräumen malte. Wir begeben uns auf Lokalaugenschein, menschenleer, die Gegenstände und Raumausschnitte erzählen Geschichten in Breitwinkeloptik. Aber die Geschichten müssen die BetrachterInnen erst selbst erfinden und die dazugehörigen Bewohnerinnen kann man sich vorzustellen versuchen. Seine „Durham Interieurs“ erscheinen wie gemalte Snapshots, Zustandsbeschreibungen von Innenräumen, aus denen das Raum- und Lebensgefühl ihrer Bewohner spricht.
Iris Andraschek schloß Freundschaften. Ursprünglich hatte sie ihre seltene Pflanzen- und Garten-Recherche fortsetzen wollen. Doch plötzlich wurde in diesen Zusammenhängen die globale Welt unheimlich klein: einer der Durhamer Biobauern bezog seine Demetersamen von einer Frau, die sie im Zuge ihrer Untersuchungen in Österreich kennengelernt hatte. Und sie tauchte in die lokale Szene ein. Eine intensive Beziehung entwickelte sich zu einer Frau, die aus Deutschland nach Kanada emigriert war und die Kunst des Überlebens praktiziert, als Köchin für den örtlichen Bioladen, als Aktmodell für befreundete KünstlerInnen, als esoterische Praktikerin. Ganz eins mit ihrem Körper ist diese Frau mit ihrer starken Ausstrahlung eine der drei Akteurinnen auf den Fotoserien. „Best left at home with friends“, so der Titel der Serie, die Innenaufnahmen zeigt. Der Titel stammt aus einem Gedicht des 25jährig verstorbenen englischen Lyrikers Wilfred Owen. Owen hatte sich freiwillig zum Kriegseinsatz in England gemeldet im Jahr 1915, 1917 wurde er verwundet, August 1918 kehrte er an die Front zurück, vier Tage vor dem Waffenstillstand im November 1918 wurde er von einem deutschen Maschinengewehr getötet. Für die unfaßliche physische und psychische Erfahrung des Krieges, er wurde nach seiner Verletzung im Spital als neurasthenischer Fall gehandelt, suchte Owen in seiner Lyrik Worte zu finden. „Soldiers may grow a soul when turned to fronds, But here the thing’s best left at home with friends.“ Kein Krieg in diesen Räumen, und doch hält die Bedrohung der Kriegserfahrungen Einzug in den Schutz des Drinnen, in blauer Schrift festgehalten auf einem nackten Frauenkörper. Zwei Mädchen sah Andraschek auf ihrem Weg in die Schule, immer waren sie exzentrisch gekleidet, stachen heraus aus der Uniformität der Kleinstadt. Diese beiden lud sie ein, Kleider als Requisiten mitzubringen und sich einzulassen, auf verschiedene Orte, drinnen, aber auch draußen in der wilden, noch unberührt wirkenden Landschaft. Frauen und Innenräume, Frauen und Natur, es sind stark besetzte Themen, auf die sich Andraschek in ihren Durhamannäherungen einließ. Die archaische Landschaft, der Wald, das Wasser, inspirierte sie zu mythisch aufgeladener Künstlichkeit. „Curious, nervous, but nothing happens“, so der Titel der Waldaufnahmen. „Wait until the night is silent“ heißt die Serie der Kanufotos, und man vermeint Satyr atmen zu hören, der aus dem Wald herauskommend die Wassernymphen ins Visier nimmt.

Elke Krasny


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